The Power of "not yet"

Das “noch nicht”, das wir unseren Kindern so oft entgegnen, wenn sie spielen oder etwas unternehmen möchten, wir aber noch mit anderen Dingen beschäftigt sind, ist für sie nur schwer auszuhalten, da es bedeutet, dass sie geduldig bleiben müssen. Gerade jüngere Kinder finden das schrecklich, da Geduld und Belohnungsaufschub etwas ist, das sie erst noch lernen müssen.

Es gib aber an diesem „noch nicht“ in etwas anderer Hinsicht auch etwas Hoffnungsvolles. Diesem Hoffnungsvollen hat sich unter anderem die Psychologin Carol Dwecks mit ihrer Forschung gewidmet. Hinter dem „not yet“, das sie erforscht, verbirgt sich eine kraftvolle Botschaft, die einen interessanten Umgang mit Fehlern oder mit dem Scheitern ganz allgemein lehrt. Diese Lehre beeinflusst nicht, ob wir Fehler machen oder nicht, denn das passiert unweigerlich. Es heißt ja nicht umsonst: „Wer viel macht, macht viel verkehrt!“. Sie beeinflusst vielmehr, wie wir unsere Fehler oder unser Scheitern beurteilen. Diese Beurteilung hängt vor allem von unserem Attributionsmuster ab. Sind wir der Meinung, dass unsere Fähigkeiten allein auf Intelligenz oder Talent zurückzuführen und zum größten Teil angeboren sind, so bewerten wir Fehler als im wahrsten Sinne „fatal“ – als schicksalhaft festgelegt und bedrohlich. Glauben wir aber, dass unsere Leistungen auf Anstrengungen und Lernprozesse zurückzuführen sind, so bekommen Fehler eine ganz andere Bedeutung. Sie erscheinen als unvermeidbare Ereignisse, die im großen Lernprozess unseres Lebens letztendlich vor allem eines darstellen: Lerngelegenheiten. Dweck unterscheidet Menschen mit einem „fixed mindset“, die glauben, dass sie bereits alles wissen und sich dadurch in ihrem Leben nicht nennenswert weiterentwickeln können, von Menschen mit einem „growth mindset“, die also der Überzeugung sind, dass es immer etwas zu lernen gibt und die sich immer weiterentwickeln möchten: „Nur wer von sich weiß, dass er aus Fehlern lernt, fürchtet das Scheitern nicht!“, so Dweck.

Das Wichtigste an diesen Betrachtungen ist, dass man das „growth mindset“, also diese besondere Art der Attribuierung, lernen kann. Auch das hat Dweck erforscht. Sie berichtet unter anderem von einer Schule in Chicago, in der Schüler, die in Tests besonders schlecht abschnitten, keine Note erhielten. Unter ihren Arbeiten stand ein „not yet“, sie würden den Lernstoff also „noch nicht“ beherrschen. Dieser Kommentar vermittelte den Schülerinnen und Schülern, dass ihre Lehrer/innen daran glaubten, dass sie ihre Leistungen verbessern könnten. Die Ergebnisse von Dwecks Forschung zeigten, dass das „not yet“ von Erzieherinnen und Erziehern sowie Lehrerinnen und Lehrern durchschlagende Wirkung hatte. Zusätzlich zu dem "not yet" wurde den Kindern unter anderem vermittelt, dass jede mentale Anstrengung das Gehirn trainiere und leistungsfähiger mache (durch neue neuronale Verknüpfungen), so wie Sport ihre Muskeln trainiere. Sie hatten es also selbst in der Hand und wurden für ihre Anstrengungen und ihre Beharrlichkeit (und nicht für ihre Noten) gelobt. Diese Art des Umgangs mit Schülerinnen und Schülern führte letzten Endes dazu, dass sich ihre Schulleistungen verbesserten. Gemäß Drecks Forschung vermindert die Vermittlung des "growth mindset" Leistungsunterschiede zwischen Jungen und Mädchen (in Bereichen, in denen es das Stereotyp gibt, Mädchen seien dafür "nicht gemacht", z.B. in der Mathematik oder den Naturwissenschaften) sowie zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund. Dwecks Forschung zeigt, dass dies für Kindergartenkinder ebenso gilt wie für Studentinnen und Studenten. 

 

Was hat das nun mit Sport und mentalem Training zu tun? Nun ja, die Beziehungen liegen auf der Hand: auch beim Sport geht es um Leistungen, auch hier geht es um Anstrengung und Beharrlichkeit und auch hier haben wir Kinder, die es bisher nur gewohnt waren, für das Ergebnis ihrer Leistungen belohnt oder "bestraft" zu werden. Wir haben es also mit Kindern zu tun, die beim Sport nicht den Spaß haben, den sie haben könnten und nicht das leisten, was sie leisten könnten, weil sie kein Selbstvertrauen haben, die Anstrengung scheuen und Angst haben zu scheitern. Mit der Kraft des "not yet" kann man diesen Kindern zeigen, dass Anstrengungen lohnenswert sind und dass sie durch Herausforderungen wachsen. Dadurch gewinnen sie Selbstvertrauen und lernen, Fehler als Chance und Lerngelegenheit zu begreifen.

Beim nächsten mal, wenn also eines des Kinder, die ihr trainiert, aufgeben möchte oder sich nicht traut, versucht mal, ihm mit auf den Weg zu geben, dass es etwas "noch nicht" kann und dass jedes Training es weiterbringt. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis es etwas schafft (wenn es sich anstrengt) und auf dem Weg dorthin dürfen jede Menge Fehler gemacht werden. Dabei ist es wichtig, dass Kinder Vorbilder haben, von denen sie diese "Fehlerkultur" lernen können. Naheliegend sind hier natürlich die Eltern, aber auch Trainer/innen haben großen Einfluss auf ihre Schützlinge und können ihnen durch einen positiven Umgang mit Fehlern das "growth mindset" vermitteln.

 

Schaut euch zur Inspiration doch mal den nachfolgenden TED-Talk von Carol Dweck an. Sie ist zwar etwas kauzig, aber sie hat interessante Dinge zu erzählen. Auch gibt es Einiges an Literatur zu dem Thema, die man sich gut mal anschauen kann (s.u.).

 

Wenn ihr Fragen zur Literatur habt oder noch weitere Lesetipps zu diesem Thema benötigt, schickt mir einfach eine Mail (sportpsychologie-ih@t-online.de).

 


Weiterführende Literatur:

Dweck, C.S. (2017). The journey to children's mindsets - and beyond. Child development perspectives, 0(0), 1-6.

Dweck, C.S. (2008). Mindset and Math/Science Achievement. Institute for Advanced Study. Princeton, N.J.

Haimovitz, K. & Dweck, C.S. (2016). What Predicts Children’s Fixed and Growth Intelligence Mind-Sets? Not  

    Their Parents’ Views of Intelligence but Their Parents’ Views of Failure. Psychological Science, 27(6), 859-

    869.

Yeager, D.S. & Dweck, C.S. (2012). Mindsets that promote resilience: when students believe that personal

    characteristics can be developed. Educational Psychologist, 47(4), 302-414.


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