Was Kinder und Leistungssportler/innen gemeinsam haben

Man kennt das: während man schon "in Hut und Mantel" in der Tür steht, singt der Nachwuchs seelenruhig noch ein Lied, tanzt durch den Flur und ist vollkommen in seine eigene Welt versunken. Die Zeit hat für kleine Kinder einfach keine oder sagen wir richtiger, eine andere Bedeutung. Eigentlich ist das beneidenswert und so mancher sportlich aktive Mensch hätte gern ein Scheibchen dieser Fähigkeit, wenn ihn im Wettkampf die Konzentration verlässt. Die Gedanken wandern munter in alle Richtungen, anstatt einfach in dem jeweiligen Moment beim Putt, beim Aufschlag, beim Elfmeter oder einer anderen wichtigen Situation zu bleiben. Genau diese Fähigkeit zeichnet aber oft Menschen aus, die in ihrem Sport oder auch in ihrem Job erfolgreich sind. Sie schaffen es, sich auf ihr gegenwärtiges Tun zu konzentrieren und Gedanken an Vergangenes oder Zukünftiges auszublenden.

Wie genau schaffen es Kinder oder auch Leistungssportler/innen im "Flow" zu sein bzw. in den "Flow" zu kommen? Zur Beantwortung dieser Frage gilt es zunächst einmal zu verstehen, was überhaupt der "Flow" ist.

Maßgeblich geprägt hat diesen Begriff ein Forscher namens Mihaly Csikszentmihalyi (ich kann mir gerade vorstellen, wie Sie versuchen, den Namen auszusprechen ;-)). Nach seiner Definition ist der Flow eine Art "Schaffensrausch", das beglückende Gefühl eines Zustandes vollkommener Konzentration und des Aufgehens in einer Tätigkeit. 

Merkmale, die seiner Meinung nach den Flow definieren sind (Csikszentmihalyi, 1990):

  1. die Balance zwischen der Anforderung der Tätigkeit und der Fähigkeit der Person
  2. das Verschmelzen von Handlung und Bewusstsein 
  3. Ziele, die klar definiert sind
  4. ein klares und eindeutiges Feedback
  5. die absolute Konzentration auf die gerade ausgeführte Handlung
  6. ein Gefühl der Kontrolle, ohne bewusst Kontrolle auszuüben
  7. ein Verlust des bewussten Denkens
  8. ein Verlust des Zeitgefühls
  9. eine "autotelische" Erfahrung (die Handlung selbst ist Belohnung genug; es bedarf keiner Belohnung von außen)

Schaut man sich diese Liste an, so wird einem klar, dass das versunkene kindliche Spiel eine Menge mit dem aus der Sport- und Motivationspsychologie bekannten Flow zu tun hat. Allerdings fällt einem auf, dass Kinder und Leistungssportler/innen zwar das Erleben an sich gemeinsam haben, sich aber in der Art und Weise, wie sie in den Zustand gekommen sind, unterscheiden.

Bei Kindern spielt der Faktor "Zeit" eine bedeutsame Rolle. Kinder scheinen davon mehr zu besitzen als Erwachsene. Fakt ist aber, dass Kinder im Kleinkind- und Vorschulalter den Zeitbegriff noch nicht vollständig erfassen. Das Verstehen dieses Begriffs stellt eine der vielen Entwicklungsaufgaben des Kindes dar. Es ist eine Frage der kognitiven Reifung, des Erlernens der Sprache und damit der Begriffe, die verstanden werden müssen, um die Zeit und Konzepte wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verstehen. Im Grundschulalter erwerben Kinder nach und nach ein Verständnis der Zeit, das dem der Erwachsenen ähnelt. Sie sind sich nicht bewusst, dass sie damit das "Paradies" verlassen, aber rückblickend stellt man als erwachsene Person neidvoll fest, wie schön es doch war, ohne Zeitdruck und Gedanken an Verpflichtungen vollkommen selbstvergessen einer Tätigkeit nachzugehen.

Uns Erwachsenen bleibt also "nur" der Flow. Aber wie schaffen wir es, in den Flow zu kommen? Es ist ja eine Sache, das Phänomen zu beschreiben und im Nachhinein zu wissen, dass man gerade ein Flow-Erlebnis hatte. Eine andere Sache ist es jedoch, diesen Zustand herstellen zu wollen. Und was ist eigentlich so toll am Flow. Erbringen wir wirklich bessere Leistungen und wenn nein, was soll dann der ganze Hype?

Mit diesen Fragen (nun ja, natürlich mit den seriösen Versionen dieser Fragen) hat sich unter anderem Susan Jackson (1995) beschäftigt. Flow ist für sie "ein Zustand optimalen Erlebens, der das vollkommene Aufgehen in einer Tätigkeit beinhaltet und einen Zustand des Bewusstseins kreiert, in dem optimale Level von Leistung häufig auftreten". Sie nimmt an, dass folgende Faktoren förderlich sind, um das Auftreten eines Flow-Zustandes zu erleichtern:

  1. Entwicklung einer positiven mentalen Einstellung
  2. ein positives Gefühl vor dem Wettkampf
  3. ein positives Gefühl während des Wettkampfes
  4. das Aufrechterhalten eines angemessenen Aufmerksamkeitsfokus
  5. physische Bereitschaft (Wahrnehmung, gut vorbereitet zu sein)
  6. Einheit mit den Teammitgliedern und/ oder mit dem Coach

Dagegen identifiziert Jackson als hinderliche Faktoren das Erfahren von physischen Problemen und Fehlern, die Unfähigkeit, den angemessenen Aufmerksamkeitsfokus aufrecht zu erhalten, eine negative mentale Einstellung und den Mangel an Rückmeldung aus dem Publikum.

Die genannten Faktoren sind größtenteils durch sportpsychologische Maßnahmen beeinflussbar. Dennoch sind für das Erreichen des Flow das optimale Zusammenkommen vieler Faktoren und auch eine Passung der äußeren Umstände nötig. Mentales Training kann also die Wahrscheinlichkeit erhöhen, in den Flow zu kommen, einen Garant stellt es allerdings nicht dar.

Hinzu kommt - und das deutet Jacksons Definition bereits an - dass im Flow zwar oft, aber nicht zwingend ein Leistungshöhepunkt erreicht wird und dass es umgekehrt Leistungshöhepunkte ohne Flow gibt. Auch gibt es eine gefährliche Komponente des Flow, die insbesondere in Risikosportarten (Klettern, Motorsport etc.) zu Tage treten kann. Im Flow wird die Gehirnregion herunter reguliert, die für die bewusste Steuerung und Regulation von Konzentration und Aufmerksamkeit wichtig ist (Dietrich & Stoll, 2010). Dies kann dazu führen, dass gefährliche Situationen nicht schnell genug oder falsch eingeschätzt werden.

Und was bringt mir dann der Flow? Nun ja, jeder, der ihn schon erlebt hat, weiß, was für ein Wahnsinnsgefühl das ist. Und auch, wenn dieser Zustand kein Garant für den Sieg oder für eine Bestleistungen ist, so stellt er doch eine unheimliche Motivationsquelle dar. Diese Quelle kann während anstrengender Trainingseinheiten oder Wettkämpfe eine wertvolle Ressource sein und das ist doch auch schon etwas!

BE LIKE A KID! GO WITH THE FLOW!

 

Literatur:

 

Csikszentmihalyi, M. (1990). Flow. The Psycholgy of Optimal Experience. New York: Harper and Row.

Dietrich, A. & Stoll, O. (2010). Effortless Attention in Sports Performance. In B.J. Bruya (Ed.). Effortless Attentention: A New Perspective in the Cognitive Science of Attention and Action (pp. 159-178). Cambridge: MIT Press.

Jackson, S.A. (1995). Factors Influencing the Occurence of Flow State in Elite Athletes. Journal of Applied Psychology, 7, 138-166.

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